Dirk Schlichting inszeniert perfekte Scheinrealitäten
by Sandra Anni Lang / in Neuigkeiten · Storys & Interviews / No CommentsDanny rast mit seinem Big Wheel über die stillen, endlosen Flure des Overlook-Hotels – entlang an vorbeifliegenden Zimmertüren. Nur die Drehgeräusche der Räder und Pedalen seines Kinderdreirads durchbrechen die Stille. Dann stoppt er vor der Zimmertür 237.
Unwillkürlich erscheinen Szenenbilder aus dem Horrorfilm The Shining von 1980 des Regisseurs Stanley Kubrick vor dem geistigen Auge, wandelt der Besucher entlang der Hotel-Zimmertüren in Dirk Schlichtings Rauminstallation ….erwartet. Doch das Environment „… erwartet“ befindet sich nicht in einem abgelegenen Berghotel der Rocky Mountains, sondern in der Bochumer Christ König-Kirche.
Dirk Schlichting setzt die perfekte Scheinrealität in Szene
Betritt der Kirchen- oder Ausstellungsbesucher das Gebäude der Christ-König-Kirche, erwartet er ein Kirchenschiff. Aber stattdessen wird er hineingezogen in ein Spiel zwischen tatsächlichem und imaginiertem Raum: Ohne Umwege wird er in einen Hotelflur geleitet. Jeder Blick auf den Innenraum des Kirchenschiffs bleibt ihm verwehrt.
Er tritt ein in einen 45 Meter langen und zwei Meter breiten Hotelflur und läuft entlang kaffeebrauner und gelb-vergilbter Wände. Karminroter Teppich zieht sich längs 19 dunkelbrauner Hotelzimmertüren, nummeriert von 101 bis 119 mit Ziffern und Türklinken aus goldenem Messing. Gelb-schummeriges Licht strahlt von den regelmäßig platzierten Deckenlampen auf den Teppich.
Die Szenerie wirkt authentisch – ein ehemaliges Grand-Hotel, das in die Jahre gekommen zu sein scheint, sich aber eine würdevolle, gediegene Atmosphäre erhält. Sogar ein Feuerlöscher und ein Notausgangsschild an den Wänden machen die Scheinrealität perfekt.
Einen Film machen, ohne einen Film zu machen
Dabei stimmt nicht alles in diesem Hotelflur: Die Türklinken lassen sich herunterdrücken, öffnen lassen sich die Türen dadurch aber nicht – auch wenn man sich wünschen würde, zu erfahren, was hinter den geschlossenen Türen geschieht. Die Türklinken sind ungewöhnlich platziert: bei den geraden Zimmernummern an der rechten Seite der Tür. Dann, am Ende des Flurs, bleibt dem Besucher der Gang zu Zimmer 119 versperrt: Ein massiver Marmor-Altar verstellt den Durchgang und wird durch Wände und Türen angeschnitten. Er wirkt wie millimetergenau platziert und doch ist es der reale Kirchen-Altar sowie sich auch die Stufen zum Altar tatsächlich in der Kirche befinden.
„Einen Film machen, ohne einen Film zu machen“, nennt das Dirk Schlichting. Und so wie der Hotelflur wie aus Shining anmutet, assoziiert der Herner Künstler den wuchtigen Altar, der den Weg zum letzten Hotelzimmer 119 versperrt, mit dem Monolithen aus einem weiteren Werk Stanely Kubricks: 2001: A Space Odyssey. Affen umtanzen diesen Koloss, huldigen dem mysteriösen schwarzen Monolithen. Später im Film wird deutlich, er symbolisiert den Übergang in einen neuen Geisteszustand. Dann, wenn ein Affe einen Knochen als Werkzeug und Waffe entdeckt und so dem Menschsein näherrückt, symbolisiert durch den wohl bekanntesten Match-cut der Filmgeschichte – vom Knochen auf ein Raumschiff.
Schnittstelle zwischen Kunst und Kirche
Der Filmliebhaber Dirk Schlichting macht Filmbezüge zu seinem Credo. So auch mit seiner Installation Innere. Darin verweist er auf das Werk des Regisseurs David Lynchs. „Innere“ zeigt eine Krankenhausstation mit Krankenzimmer und Schwesternzimmer – eine scheinbar authentische Situation, die so wirkt, als habe der Patient soeben erst sein Bett verlassen. Im Foyer entdeckt der Besucher einen Fahrstuhl, dessen Tür sich unaufhörlich öffnet und schließt – ein Damenschuh blockiert die Tür.
Dirk Schlichting spielt über seine Rauminstallationen geschickt mit den Erwartungshaltungen der Besucher. Das gelingt ihm auch mit seinem Environment „…erwartet“. Dazu musste Dirk Schlichting den Kirchenraum der Bochumer Christ-König-Kirche gar nicht verändern, sondern ihm seine Imagination nur aufstülpen. So schafft er eine Schnittstelle zwischen Kunst und Kirche. Eine überzeugende. Und eine, die größten Raum lässt für eigene Vorstellungen und Fantasien.
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